Zeitfresser Datenbeschaffung: open by default bitte
Dieser Text von Dr. Vera Eichenauer erschien zuerst in der Kolumne «Das letzte Wort» im Bulletin der Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.
Meine internationalen und Schweizer Gesprächspartnerinnen zeigen sich vielfach überrascht, wenn ich berichte, dass die Schweiz, was die Offenheit ihrer Regierungsdaten (Open Government Data, OGD) anbelangt, deutlich hinter der Weltspitze liegt: im Global Open Data Index der Open Knowledge Foundation belegt die Schweiz nur den 47. Rang, im Open Data Inventory (von 2018) den 33., im Open-Data-Barometer immerhin den 22. – allerdings im letztgenannten Index nur mit der Hälfte der Punkte von Grossbritannien und hinter Frankreich, Deutschland und der Tschechischen Republik. Dabei handelt es sich um die Offenheit von Daten, die öffentliche Verwaltungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene bereits sammeln, bezahlt mit Steuergeldern.
Als Staatsbürgerin empören mich der beschwerliche Zugang zu öffentlichen Daten und deren schlechte Dokumentation. Daten sind eine wichtige Grundlage für die Meinungsbildung und der Ausgangspunkt für Entscheidungen – von Regierungen ebenso wie von Bürgerinnen und Bürgern. Dies zeigt sich gerade während der aktuellen Covid-19-Krise. Die an sich verbindliche Open-Government-Data-Strategie, Teil der Legislaturplanung 2019–23, muss nun zügig umgesetzt werden.
Als Forscherin sind die fehlenden oder unsystematischen Informationen über vorhandene Daten vor allem ein Zeitfresser: Ich brauche viel Zeit um herauszufinden, welche Daten es überhaupt gibt und noch mehr Zeit, um diese zu beantragen, auf Qualität, Zweckmässigkeit und Kombinierbarkeit zu überprüfen.
Es braucht einen mentalen Wandel
Eine zentrale und öffentliche Dokumentation von bereits verfügbaren Datensätzen, mitsamt ihren Eigenschaften, Zugangsbedingungen und -prozessen könnte den Zeitaufwand für Forschende enorm reduzieren. Dies fördert den gleichberechtigten Datenzugang für jüngere oder weniger vernetzte Nachwuchsforschende und ausländische Forscherinnen. Ein einfacher Datenzugang fördert zudem die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen.
Es gehört niemand an den Pranger gestellt: Überall wird fleissig digitalisiert. Wichtig ist der mentale Wandel hin zum Primat der Offenheit und Transparenz (open by default). Neue Verwaltungs- und Forschungsdaten als offene Daten zu publizieren, verursacht minimalen Aufwand – anders das Aufbereiten alter Datensätze. Dank solcher Offenheit steht den Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen und auch nicht akademischen Analystinnen und Anwenderinnen von Daten mehr Zeit für ihre Kernarbeit zur Verfügung: neue Fragestellungen zu untersuchen und Erkenntnisse zu generieren.
Wenn Publikationen (hoffentlich bald Open Access) die akademische Währung und Innovationen das Gold der Schweiz sind, dann sind qualitativ hochstehende Daten aus einem institutionell, kulturell und geografisch so vielfältigen Land wie der Schweiz ein quasi unerschöpflicher Rohstoff, den es nicht zuletzt für unsere Forschenden zu heben gilt. Ich wünsche mir dafür «volle Kraft voraus», da- mit ich mehr Zeit damit verbringen kann, Daten zu analysieren, anstatt sie zu sammeln und aufzubereiten.